• Die hintere Mauer verlängerte die Felsen des steilen Abhangs. Es war früh am Morgen, man sah keinen Menschen im Dorf und die Gänse watschelten auf der Straße. Als sie mich sahen, streckten sie ihre Hälse und fingen an zu zischen. Das Tor war ein Spalt offen und bin ich ganz schnell in den Hof hineingeschlüpft. Von dort aus sah ich wie die Gänse am Rande des Abhangs ankamen und dann in die Richtung Ebene flogen. Luca stand an der Türschwelle und lächelte mir zu:

    „Sie kommen abends wieder zurück. Sie passen selber auf sich auf.“ 

    Ich ging in das kühle Haus hinein und setzte mich auf eine Truhe. Der Raum war klein, die Wände waren weiß gestrichen und mit Baumrinden bedeckt. Neben der Wand stand ein Eisenofen mit Beinen wie die Pfoten eines Hundes, der das halbe Zimmer einnahm. Es war ein warmer Frühlingstag. Im Ofen brannte kein Feuer mehr und auf der Kochplatte trocknete der Liebstöckel. Durch die geöffnete Tür blickte man in den Nebenraum hinein, wo ich einen Webstuhl sah.

    „Aber wo ist deine Familie?“

    „Meine Mutter ist gerade aus dem Haus gegangen, um sich die Knochen zu strecken und neue Kräfte zu sammeln. Sie webte die ganze Nacht,“ fügte er noch hinzu.

    Ich quatschte mit Luca über Gott und die Welt, als ich auf einmal aus der Richtung des Ofens ein Geräusch hörte, die gusseisernen Ofenplatten fingen sich an zu bewegen und gaben laute Töne von sich. Ich nahm das Bündel Liebstöckel und die Ofenplatten weg und ich sah einen Kinderkopf. Das Kind kroch aus dem Ofen heraus und Luca erklärte, es sei seine Schwester und er nahm das Kind ganz schnell auf seine Arme, während ich wie versteinert vor der Schlafstelle des Kindes stehen blieb. Das Mädchen war ungefähr zwei Jahre alt und ganz nackt, ich half Luca es in einem Waschtrog zu baden. Danach zog er dem Mädchen ein Hemdchen und ein weißes Röckchen an. Es sah einer lebendigen Pusteblume ähnlich, die vom Wind geschützt werden müsste, damit sie nicht verweht. Sie starrte mich an und ich hatte das Gefühl, das es mich durchschaute. Eine Zeit lang blieb das Mädchen ganz still auf den Armen ihres Bruders, ob es etwas hörte und lauschte, dann fing sie an zu wimmern. Auf ihrer Nase hätte bestimmt ein Schlitten mit großer Geschwindigkeit rutschen können, der zuerst ein bisschen zur Nasenspitze gefahren wäre und danach dort am Rande des Abgrunds plötzlich zum Stehen kommt.

    Das Mädchen fing an zu lachen und plötzlich hatte ich das Gefühl im Bauch, das man vom ganz alleine hochspringen würde.

     
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